036 – Wie Monika Haider eine Marktlücke in ganz Europa fand und ein social business aufbaute
Eine "Volkshochschule für Gehörlose" als Chance für Social Entrepreneure

Monika Haider ist Geschäftsführerin bei Equalizent aus Wien. Dies ist ein Social Franchisesystem, welches wie ein ganz normales Unternehmen wirtschaftet und gleichzeitig eine soziale Aufgabe übernimmt: Die berufliche Aus- und Weiterbildung für gehörlose Menschen. Dabei besetzen sie regelrecht eine europäische Marktlücke, denn die Gebärdensprache ist eine anerkannte Sprache (so wie andere Fremdsprachen auch), doch es gab bis zum Eintritt von Equalizent keine Aus- und Weiterbildungskonzepte in Gebärdensprache. Diese Lücke hat das Unternehmen in Wien geschlossen, aber in Deutschland und dem restlichen Europa ist ein solches Konzept weiterhin nicht vorhanden. Aus diesem Grund hat sich das Unternehmen ganz frisch zu einem Social Franchisesystem weiterentwickelt. Franchisenehmer können damit in Ihrer Region an den Markt gehen, Geld verdienen und gleichzeitig einer Tätigkeit mit viel Sinn nachgehen. Mit Monika Haider spreche ich über die Entstehung der "Volkshochschule für Gehörlose" und erhalte Unternehmerinnen-Tipps zur Abwägung "Selbständigkeit oder nicht". Außerdem erfahren wir, wie sie und ihr Unternehmen mit der Corona-Krise umgegangen sind. Eins wird deutlich: Corona ist nicht nur Krise, sondern es revolutioniert an der ein oder anderen Stelle auch das Geschäftsmodell - zum Guten hin!

Wie Equalizent „zufällig“ entstand

Nach einer kaufmännischen Ausbildung und dem Studium der Bildungswissenschaften wurde Monika Haider politisch tätig. Bei ihrer politischen Arbeit wurden Menschen mit Behinderungen zu einem ihrer Schwerpunkte und sie stellte fest, dass es viel zu wenig für Gehörlose gibt.

„Da hat man gemerkt, das ist praktisch ein schwarzes Loch da, für Gehörlose. Da muss etwas getan werden. All meine Wege, bis zur Gründung eines Unternehmens haben mich dorthin geführt.“

Monika Haider gründete ein Bildungsinstitut und wollte niemanden ausschließen. Entstanden ist Equalizent dann durch einen Laborversuch, bei dem ein Kurs für Hörende und zusätzlich in Gebärdensprache für Gehörlose ins Leben gerufen wurde. Man stellte fest, dass die teilnehmenden gehörlosen Menschen den Kurs in Gebärdensprache genauso schnell abschlossen wie Hörende den „normalen“ Kurs. Gleichzeitig wurde Monika bewusst, dass es für diese benachteiligte Zielgruppe keine entsprechenden Weiterbildungen gibt, was sie in ihren Karrieremöglichkeiten sehr einschränkt. Zusätzlich zu der Tatsache, dass Gehörlose häufig mit größeren Defiziten ihre schulische Ausbildung beenden. Ihr war klar, dass Gehörlose für den beruflichen Einstieg Unterricht in Gebärdensprache brauchen und so entstand das Equalizent Bildungsinstitut. Man kann das Unternehmen grob wie eine „Volkshochschule für gehörlose Menschen“ beschreiben.

(Audio 24:51Min)

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Vision: Ein Kompetenzzentrum für Gehörlose in jedem Bundesland

Es erscheint sehr schwierig, von Wien aus weitere Institute z.B. in deutschen Städten aufzubauen und von Wien aus zu führen. Monika Haider glaubt, das kann nicht funktionieren. Leichter ist es, einen regionalen Partner zu finden, der allerdings nicht von vorneweg alles neu erfinden muss, sondern die Ergebnisse und Materialien aus 16 Jahren Erfahrung mit Equalizent nutzen kann. Diese stehen digital zur Verfügung

Das Konzept wurde so zusammengestellt, dass es sowohl vorhanden Bildungsinstitute und soziale Einrichtungen übernehmen können, aber auch Social Entrepreneurs. Ein spannendes Tätigkeitsfeld für Menschen, die von der Idee überzeugt sind: Randgruppen durch Bildungsangebote zu inkludieren. Ziel oder Vision ist ein Kompetenzzentrum für Gehörlose in jedem Bundesland.

Für einen kompletten Neuling wird der Einstieg schwer. Ein kompletter Neuling wäre:

  • wer keine Ahnung vom Führen eines Unternehmens hat,
  • und zusätzlich keine Ahnung vom Umgang mit Gehörlosen hat,
  • und noch dazu die benötigte Struktur eines solchen Bildungsinstituts nicht kennt.

Für eine solche Person ist ein Einstieg zwar nicht unmöglich, aber deutlich erschwert und der Einstieg würde mehr Zeit brauchen als das geplante Onboarding in einem halben Jahr. Es würde eine längere Vorlaufphase brauchen und das wiederum muss man finanzieren können.

Leichter wird der Einstieg für Menschen, die schon Erfahrungen mit Gehörlosen haben oder bereits in einem Schulungsinstitut tätig sind. Wenn schon ein Part da ist, kann sich Monika Haider den Einstieg gut vorstellen.

Tipp: Option Selbstständigkeit – schriftlich durchdenken.

Menschen, die über den Einstieg ins Unternehmertum – social oder nicht – nachdenken, sollten sich nach etwas umschauen, wo ohnehin ihre Leidenschaft und Begeisterung liegt. Monika Haider empfiehlt die alte und bewährte Technik des schriftlichen Denkens, indem man sich die eigenen Bedürfnisse inklusive der Vor- und Nachteile einer Selbstständig gegenüber einem Angestelltenverhältnis aufschreibt. Gleichzeitig gibt es unzählig viele Coaches, die einen begleiten und bei der Entscheidungsfindung helfen können.

„Bevor ich eine Entscheidung treffe, die so gravierend ist, will ich es auf jeden Fall zu Papier bringen und ordentlich so gut es mir möglich ist durchdenken.“

 Wie Equalizent mit der Corona-Krise umgeht

Zu Beginn der Corona-Krise wurde von einem Tag auf den anderen klar, dass die Schüler und SchülerInnen nicht mehr in das Bildungsinstitut kommen können. Darauf war das Unternehmen nicht direkt vorbereitet. Doch Monika Haider trat sofort in Aktion.

„Keine Sekunde habe ich darüber nachgedacht mich unter einer Decke zu verkriechen. Ich habe sofort gedacht ‚Ok, wir brauchen einen Notfallplan!'“

Der Notfallplan wurde gleich mit Hochdruck zusammengestellt und für die kommenden zwei Wochen aufgesetzt. Schon am nächsten Tag stellte sich heraus, dass es einen Plan für eine deutlich längere Zeit als zwei Wochen braucht. Mit allen Mitarbeitern – 79 Menschen in einem Raum – wurde gleich nach Möglichkeiten gesucht und Aufgaben zugeteilt.

„Wir haben sofort überlegt, was ist eigentlich zu tun, jetzt in dieser Situation? Es ist unfassbar, es war unvorstellbar zuvor, aber es hilft ja auch nichts.“

Also wurde überlegt, was benötigt wird, damit Mitarbeiter und Teilnehmer sinnvoll von zu Hause miteinander arbeiten können. Insbesondere wurde sofort Tools eingerichtet, um die Kommunikation aufrecht zu erhalten und handlungsfähig zu bleiben.

So durchdachten sie ein „Schreckens-Szenario“ und nach ein paar Wochen das „Hochfahr-Szenario“ für den Wiedereinstieg ab dem 15. Mai. Und außerdem gab es immer noch einen Plan B.

Neben organisatorischen Regelungen wurden der Garten umgebaut und Nischen eingerichtet, so dass – wie auch an den Arbeitsplätzen – ausreichend Abstand gehalten werden kann.

Home-Office – wie geht es weiter?

In Sachen Home-Office waren die Regelungen bei Equalizent bis Corona hart. Es standen Präsenz-Trainings im Vordergrund, wenngleich auch schon in der Vergangenheit Experten aus aller Welt digital zugeschaltet wurden. Für die Zukunft kann es sein, dass das ein oder andere Training digital gegeben und konsumiert werden kann.

Monika kann sich gut vorstellen, dass MitarbeiterInnen an Büroarbeitsplätzen abseits der Schulungen zukünftig mehr von Zuhause arbeiten werden.

Als Fazit lässt sich gerade im Hinblick auf Digitalisierung von Schulungsinhalten feststellen: Corona ist nicht nur Krise, sondern es revolutioniert an der ein oder anderen Stelle auch das Geschäftsmodell – zum Guten hin!

Shownotes

Monika Haider bei LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/monika-haider-372a6645/

Equalizent Website: https://www.equalizent.com/